K.P. Erstaunt blicke ich mich um, am Tonfall stimmt was nicht. Das breite amerikanische Englisch ist plötzlich nicht mehr zu hören, stattdessen nur Slawisches. Die U-Bahn-Station ist die richtige: Brighton Beach, New York City. Während ich nach Straßennahmen suche, fällt mir ein Plakat am Fuß der stählernen Treppe auf, die zu den Gleisen hinaufführt: Welcome to Little Russia.
Auf dem Weg zum Strand schlendere ich durch NYC. Spätestens die aufziehende Vorahnung, einen Sonnenstich zu bekommen, lenkt die Schritte jedoch wieder gen Schatten und in eines der zahlreichen Cafés – um dort auf einen Kunden von Musikalienhandel.de zu treffen. Simon Goldvekht lebt und arbeitet als Klavierlehrer in New York und sprudelt geradezu über vor Begeisterung angesichts der Möglichkeit, über das Internet in Deutschland Noten zu beziehen, was er häufig tut. Überrascht erfahre ich, dass es kein einfaches Unterfangen sei, im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ Noten zu kaufen. Zum einen sei in den US-amerikanischen Läden das gewünschte Exemplar oft nicht vorrätig, zum anderen dauere die Lieferung sehr lang (denkbar überraschend, dass es sich vom „Alten Europa“ aus schneller nach New York City liefert als aus den USA selbst…).
Goldvekht, vor anderthalb Jahrzehnten aus Usbekistan immigriert, fühlt sich dem Jazz verpflichtet und sieht gemeinsam mit seiner Frau New York als den lebenswertesten Ort der Welt – hinsichtlich des Jazz vielleicht eine nachvollziehbare Meinung. Im Brustton der Überzeugung vertritt der Pianist die Ansicht, es sei egal, dass er nicht Deutsch spricht – die Website verstünde er trotzdem zur Genüge, und in der Musik seien Sprachen ohnehin unwichtig. Wir unterhalten uns aber weiterhin auf Englisch, denn hätte ich zu meiner Geige greifen sollen, hätte das unweigerlich einen Haufen von Missverständnissen zur Folge gehabt.
In seinem Unterricht legt der Lehrer größten Wert darauf, dass die Schüler, häufig Kinder, wirklichen Spaß an der Musik haben. Er meint allerdings, die gängige Literatur biete leider nur langweilige Etüden und führe daher zu verdrießlichem Geklimpere, weshalb er ein eigenes Lehrwerk geschrieben hat, was er mit Leidenschaft bei einem Glas Bier erläutert. Unter dem Titel „Learning to Play Piano by Ear“ sind bekannte Melodien versammelt und je nach Schwierigkeitsgrad mit variierenden Tonfolgen für die linke Hand unterlegt, um nicht zuletzt das Improvisieren anzuregen.
Der Autor möchte das Buch möglichst bald auch dem deutschen Markt zugänglich machen – und vollführt da eine erstaunliche Wendung: Nicht nur eine Übersetzung der Erklärungen sei nötig, um Schülern die Intention verständlich zu machen, sondern er müsste erst auch die Stücke der englischsprachigen Ausgabe durch bekannte deutsche Lieder ersetzen. In naher Zukunft, wünscht er sich, soll das Buch dann über Musikalienhandel.de zu kaufen sein. Davon werden Sie ggf. hier erfahren.
(Übrigens: K.P. steht für Karla Prigge; gelegentlich zu Recherchezwecken für das Haus der Musik unterwegs)