aus Handelsreport OWL 07/2017
Vier Händler, die sowohl den stationären als auch den Online-Vertriebsweg nutzen hat die IHK Lippe und der Handelsverband OWL nach ihren Erfahrungen und zukünftigen Plänen befragt:
Wolfgang Meyer, Haus der Musik, musikalienhandel.de
1. Wie hat sich Ihr Geschäft durch den zusätzlichen Vertriebskanal Internet verändert und mit welchen Maßnahmen haben Sie das erreicht?
Meine Firma, das Haus der Musik in Detmold, ist seit ca. 18 Jahren im Verkauf von Noten, Zubehör und Musikinstrumenten aktiv. Ich habe bereits kurz nach der Gründung festgestellt, dass sich Noten online gut verkaufen lassen. 1999 habe ich eine eigene Webseite „gebastelt“ und ein Notenheft zum Verschenken eingestellt. Eine überwältigende Resonanz, die unserem Unternehmen auf einen Schlag einen riesigen neuen Kundenstamm erschlossen hat. Daraufhin haben wir in die damals neue Technologie investiert und mit der Unterstützung eines externen Dienstleisters ein Warenwirtschaftssystem und entsprechende Software angeschafft. Am Anfang standen wir vor dem Problem, wie wir 450.000 Notenhefte ins Internet bringen sollten. Das Web 2.0 bot die Lösung: Unsere Kunden haben die Deckblätter und Probeseiten gescannt und mit Texten versehen, die wir im Team dann noch einmal kontrolliert oder bearbeitet haben. Mittlerweile habe ich erkannt, dass es für die weitere Entwicklung unseres Unternehmens sehr wichtig ist, die neue Technologie im eigenen Unternehmen zu beherrschen, zu verstehen und anzuwenden. Aus diesem Grund habe ich mich mit einer Webagentur zusammengeschlossen. Außerdem ist für mich die Kommunikation über alle neuen Kanäle „Chefsache“, d. h. ich betreue unseren Weblog, die Facebook-Seite, den Twitter-Account und unseren Newsletter, der an über 28.000 Kunden versendet wird, persönlich.
2. Wie beurteilen Sie für Ihr Unternehmen bzw. die Branche die Auswirkungen des E-Commerce?
Der Markt hat sich durch das Internet und die daraus resultierenden neuen Vertriebs- und Absatzwege dramatisch und extrem schnell verändert. Der Einzelhandel befindet sich in einem strukturellen Wandel. Das Einkaufsverhalten der Menschen ändert sich, der Markt steckt in einem Paradigmenwechsel. Und dies geschieht in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit. Die Not ist groß! Das Fachgeschäftesterben hat längst eingesetzt. Die Fachgeschäfte, die sich in den vergangenen Jahren nicht intensiv mit dem „neuen Markt“ (mit Warenwirtschaftssystemen, Internetvertrieb, neuen Kommunikationswegen, Social Networks, extremer Schnelligkeit und Wandlungsfähigkeit, strafferen Personalkostenstrukturen etc.) auseinandergesetzt haben, werden die nächsten fünf Jahre nicht überleben.
3. Welche Umsatzverschiebungen erwarten Sie zukünftig hinsichtlich Ihrer Online-Aktivitäten?
Wir erwarten weiter steigende Online-Umsätze und nutzen Aktionen im Internet, um unseren Kundenstamm sukzessive zu erweitern, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa. Wenn wir heute die „Googleschraube“ andrehen, dann steigt unser Absatz. Für Einladungen nutzen wir die sozialen Medien, die uns die Möglichkeit geben, eine breite Kundenschicht zu erreichen. Wir vernachlässigen dabei aber nicht die anderen Vertriebskanäle und den Verkauf vor Ort. Die Mitarbeiter im Haus der Musik, das Fachpersonal, können sich bei diesem Geschäftsmodell der Beratung und dem Verkauf im Ladengeschäft widmen. Der Kunde entscheidet über den Vertriebsweg. Wir bieten ihm dafür alle Möglichkeiten.
4. Welche weiteren Online-Maßnahmen haben Sie für die nächsten Jahre geplant?
Wir haben die Technologie genutzt und unsere eigene Website „www.Musikalienhandel.de“ mit der Angebotspalette eines Großhändlers, der sich dafür geöffnet hat, verknüpft und direkt verbunden. Wir können unseren Kunden auf diese Weise sämtliche Produkte unmittelbar anbieten, ohne selbst über ein entsprechendes Lager zu verfügen. Das hat auch den Vorteil, dass die Datenbestände nicht erneut aufgebaut, gepflegt und im Internet bereitgestellt werden müssen. Wir haben keine zusätzlichen Lager- oder Logistikkosten. Der Warenfluss geht über den Fachhandel zum Endverbraucher. Wir möchten diese „virtuelle Lagertechnik“ ausbauen und weitere Lieferanten ermutigen sich anzuschließen. Durch die virtuelle Sortimentserweiterung können wir auch vor Ort auf einer sehr kleinen Fläche in der Innenstadt den größtmöglichen Nutzen für unsere Kunden bieten. Und dies sogar ressourcen- und umweltschonender als je zuvor.
5. Welche Empfehlung würden Sie anderen Händlern Ihrer Branche geben?
Neben der Liebe zum Produkt auch die Liebe zu neuen Technologien entwickeln, verinnerlichen und anwenden! Stellen wir uns einmal vor, dass sämtliche Hersteller oder Lieferanten für die Fachgeschäfte vor Ort Schnittstellen zum Datenbestand und zum Lager bereitstellen. Mit diesen Schnittstellen meine ich nicht Excel-Tabellen, Datenansammlungen oder Daten im Hersteller-Extranet, die noch händisch bearbeitet oder importiert werden müssen, sondern eine direkte Echtzeit-Anbindungen der Warenwirtschaftssysteme. Die Waren und Artikel könnten nach der Bestellung durch den Endkunden direkt nach Hause ausgeliefert werden (oder auf Wunsch natürlich auch zum Abholen in das Ladengeschäft vor Ort). In diesem Szenario wären die Fachhändler mit den „virtuellen Lagern“ sogar genauso schnell wie die aktuellen Versandriesen (Amazon, ZALANDO & Co.), welche zur Zeit den Markt beherrschen. Die „virtuellen Lager“ der Hersteller und Lieferanten könnten im Zusammenschluss mit den Fachhändlern vor Ort nun sogar noch größer und effektiver als die Lager der jetzigen Online-Riesen sein. Dadurch käme es zu einer kompletten Verschiebung am Markt. Es würde sich ein neues Gleichgewicht einstellen.
(IHK und Handelsverband OWL, Handelsreport OWL 07/2017)