Ein Beitrag über verkaufsoffene Sonntage, erweiterte Ladenöffnungszeiten und das verändertes Kaufverhalten im Einzelhandel.
Im Jahre 1838, als die erste deutsche Eisenbahnstrecke von Nürnberg nach Fürth gerade erst seit drei Jahren in Betrieb war, ahnte Preußens Kronprinz Friedrich Wilhelm bereits: „Diesen Karren, der durch die Welt rollt, hält kein Menschenarm mehr auf.“ Die Erfindung der Eisenbahn löste im 19. Jahrhundert eine Revolution aus. Innerhalb weniger Jahrzehnte führten die Möglichkeiten der Bahntechnik zu einer noch nie da gewesenen Dynamisierung der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Entwicklung.
Nicht nur Zugreisende fürchteten um ihr Leben. (Stich von J. A. Klein)
Metallenes Teufelswerk
Die Menschen hatten damals Angst. Vor allem die Kutscher fürchteten um Ihre Arbeit und Ärzte meinten sogar, Zugfahrer müssten durch die hohe Reisegeschwindigkeit krank werden und die vorbeifahrenden Züge könnten die Kühe schädigen. Die Erfindung der Eisenbahn markierte einen Paradigmenwechsel für die Wirtschaft. Wie müssen sich die Kutscher in der damaligen Zeit gefühlt haben? Haben sie den Wandel vorausgesehen, vielleicht sogar ganz neue Geschäftsfelder und Möglichkeiten gesehen, ihre Kutschen verkauft und bei den neu entstandenen Eisenbahngesellschaften angeheuert?
Springen wir ca. 100 Jahre weiter und schauen wir auf eine andere Berufsgruppe, die unserer Branche sogar etwas näher ist.
Skandal: 40.000 Berufsmusiker als Opfer der Technik arbeitslos!
Als im Jahre 1927 in den USA der Film „The Jazz Singer“ gezeigt wurde, bei dem das Filmbild zusammen mit einem Grammophon lief, war das der Beginn einer ganz neuen Ära. Der Tonfilm war geboren.
Ein Flugblatt von 1929 verdeutlicht den Aufstand der damaligen Berufsmusiker, die sich vehement gegen den Tonfilm, den Rundfunk und das Grammophon zu wehren versuchten.
Ich finde es sehr schade, dass wir in Cafes und Restaurants keine Musik mehr vom „lebenden Orchester“ hören, aber im Nachhinein wissen wir alle, dass die damaligen Musiker schlichtweg chancenlos waren gegen den technischen Wandel der Zeit. Ein Festhalten am Dagewesenen, fehlende Flexibilität und wahrscheinlich auch fehlender Mut zur Veränderung haben diese spezielle Berufsgruppe sicherlich den Arbeitsplatz gekostet.
Verändertes Kaufverhalten
Vor ein paar Wochen sitze ich nun im Cafe, schlage die Tageszeitung auf und lese auf der Titelseite: Sonntagsöffnung im Einzelhandel. Im Internet kann man auch sonntags einkaufen … Eine Sonntagsöffnung kann den Einzelhandel zukunftsfähig machen und auf diese Weise den mächtigen Onlinekonkurrenten Paroli bieten. Karin Genrich, die langjährige Präsidentin des Einzelhandelsverbands Berlin-Brandenburg, fordert sogar die komplette Abschaffung der Ladenschlussregelung, um der maximalen Verfügbarkeit des Internets etwas entgegenhalten zu können. „Wir erleben eine neue Zeit.“ Das Internet bringt der Einzelhandelsbranche eine der gewaltigsten Umwälzungen, die sie je gesehen hat.
Fällt Ihnen etwas auf? Was haben die Kutscher aus dem Jahr 1838, die Stummfilmmusiker von 1929 und der Einzelhandel im Jahr 2022 gemeinsam?
Den Zug nicht verpassen
Wir haben es bei allen drei beschriebenen Fällen mit einem unumkehrbaren Wandel zu tun, der in unserem aktuellen Fall auch für den Handel bereits im vollen Gange ist und in einer noch nie da gewesenen Geschwindigkeit das Kaufverhalten der Konsumenten entscheidend verändert. Der stationäre Handel steht unter extremem Druck. Die Anzahl der Onlinehändler nimmt zu, auch durch neue technologische Entwicklungen wie Smartphones und Tablets. Meiner Ansicht nach ist es ein fundamentaler Fehler, mit alten Konzepten und im Hoffen auf eine wieder bessere Zeit dieser Entwicklung entgegenzusehen. Erweiterte Ladenöffnungszeiten ohne inhaltlichen Wandel oder verkaufsoffene Sonntage nach alter Rezeptur (Detmold zum verkaufsoffenen Sonntag: Autohäuserausstellungen, Verschenken von Vergissmeinnicht-Blümchen, einfache Fahrgeschäfte oder Kasperletheater auf dem Marktplatz) sind nicht mehr als Flickschusterei und spiegeln nur die Hilfs- und Aussichtslosigkeit des stationären Einzelhandels wieder.
Vom Verkäufer- zum Internetkäufermarkt
Als ich vor über 25 Jahren im Einzelhandel begann, liefen in den Ladengeschäften die klassischen, eindeutig strukturierten Kaufprozesse ab. Im damaligen „Verkäufermarkt“ war die direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch, also vom Verkäufer zum Kunden, in den meisten Fällen die einzige Informationsquelle. Heutzutage steht mehr und mehr das Internet im Zentrum des Verkaufsprozesses und auch des Verkaufserlebnisses.
Die neuen technischen Möglichkeiten des Internets, die mobilen Endgeräte in Verbindung mit Apps und die Vernetzung von beidem spielen eine zentrale Rolle. Um den jetzigen Zug nicht zu verpassen, müssen die Händler bestens gerüstet sein und neue Ideen und Möglichkeiten entwickeln, um die Kunden der Zukunft zu begeistern. Es geht nicht mehr um das pure Verteilen von Waren, sondern um das Schaffen eines Erlebnisses beim Einkauf.
Im Haus der Musik und bei Musikalienhandel.de konzentrieren wir uns seit geraumer Zeit auf eine Verbesserung der technischen Möglichkeiten, um den Einkauf bei uns noch einfacher und interessanter zu machen. Extrem schnelle Verfügbarkeit der Waren, bessere Anbindung an die Datenbanken unserer Lieferanten, virtuelle Produktlager und digitale Noten in Echtzeit sind hier ein paar Stichwörter der Zukunftsmusik.
Dank dieser Fokussierung können Notenkunden bei uns zum Beispiel auch vor Ort auf über 500.000 Artikel in kürzester Zeit zugreifen. Instrumente und Zubehörartikel sind extrem schnell verfügbar und in einer bisher ungekannten Auswahl (virtuelle Sortimentserweiterung) anspiel- und bestellbar. So können wir auf einer sehr kleiner Fläche in der Innenstadt einen größtmöglichen Nutzen für unsere Kunden bieten. Und dies sogar ressourcen- und umweltschonender als je zuvor, weil wir keine großen Logistikzentren und Lagerhallen benötigen. Die Zukunft des Einzelhandels verstehen wir als sinnvolle Kombination der neuen technischen Möglichkeiten mit den Stärken des stationären Handels vor Ort. Damit sieht der reine Onlinehandel ganz schön alt aus!
Zurück zu den Kutschern von 1838. Natürlich wurden in den Folgejahren viele Kutscher arbeitslos, weil der Transport mit Pferdewagen auf Strecken, auf denen von nun an Eisenbahnen fuhren, kaum noch konkurrenzfähig war. Im Gegenzug entstanden im Verkehrssektor ganz neue Berufe wie Lokomotivführer, Heizer und Schaffner. Insofern bleiben die Veränderungen infolge der digitalen Revolution für uns sehr spannend und wir versuchen, uns ständig neu zu orientieren und aufzustellen.
Ich lade Sie herzlich ein, uns dabei zu begleiten. Wir freuen uns auf Sie und die Zukunft mit viel Musik.
Der „Cheffe“ alias
Wolfgang Meyer
Gründer und Geschäftsführer
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Am 7. Dezember 2020 um 11:18 Uhr
Ihr Blog ist großartig! Bitte weiter so! – Freundliche Grüße sendet R. Weinert aus Wiesbaden.
Am 7. Dezember 2020 um 14:00 Uhr
Vielen lieben Dank für das Feedback. Wir werden uns weiterhin Mühe geben und rund um die Musik berichten.
Gerade in diesen Corona-Zeiten ist das wichtig für uns Musiker 🙂
Mit musikalischen Grüßen aus dem Lipperland
Der „Cheffe“ alias
Wolfgang Meyer